In-vitro-Diagnostika: Veränderungen durch neue EU-Verordnung

In-vitro-Diagnostika sind Medizinprodukte, die dazu dienen, gesundheitsrelevante Informationen über Personen zu ermitteln. Hierfür werden biologische Proben entnommen und außerhalb des Körpers untersucht. Covid-19-Antigen-Schnelltests, Schwangerschaftsselbsttests und HIV-Tests sind Beispiele für entsprechende Produkte.

Seit dem 26.05.2022 gilt die neue EU-Verordnung 2017/746 (IVDR) für In-vitro-Diagnostika. Diese bringt unter anderem gestiegene Anforderungen bei der Herstellung und Zertifizierung von In-vitro-Diagnostika mit sich. Die Einführung der neuen EU-Verordnung zielt unter anderem auf eine Modernisierung und qualitative Optimierung des Sektors für In-vitro-Diagnostika ab.

Was ist ein In-vitro-Diagnostikum?

Als In-vitro-Diagnostikum (kurz: IVD) bezeichnet man ein Medizinprodukt, mit dessen Hilfe anhand von Proben aus dem menschlichen Körper gesundheitsrelevante Informationen über eine Person gewonnen werden (1). Bei diesen Proben kann es sich beispielsweise um Blut- und Gewebespenden handeln.

Auch Behältnisse, die zur Aufbewahrung der Proben aus dem menschlichen Körper genutzt werden, gelten als In-vitro-Diagnostika. Darüber hinaus sind weitere Medizinprodukte wie z. B. IVD-Software, prädiktive Diagnoseprodukte (z. B. Gentests) und therapiebegleitende Diagnostika in die Liste der IVDs übernommen worden (2).

Einige Beispiele für IVDs sind:

  • Schwangerschaftsselbsttests
  • Blutzuckertests
  • HIV-Tests
  • Covid-19-Antigen-Schnelltests

In-vitro-Diagnostika sind Medizinprodukte, da sie einen medizinischen Zweck haben und für die Anwendung am Menschen vorgesehen sind (3). Anders als andere Medizinprodukte sind IVDs speziell zur Durchführung von Untersuchungen außerhalb des menschlichen Körpers vorgesehen, weshalb sie den Zusatz „in vitro“ (lat. im Glas, im Reagenzglas) führen.

Gesetzliche Grundlagen

In den 90er-Jahren führte die EU Verordnungen ein, die die Sicherheit von Medizinprodukten erhöhen sollten. Zum damaligen Zeitpunkt wurden In-vitro-Diagnostika in einer gemeinsamen Verordnung mit den Medizinprodukten reguliert, doch dies hat sich im Jahr 2017 geändert.

Mit dem Erlass zweier neuer EU-Verordnungen, darunter einer separaten EU-Verordnung für In-vitro-Diagnostika (IVDR), reagiert die EU auf die technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Die neuen EU-Verordnungen für Medizinprodukte und IVDs sollen zur höheren Sicherheit für Patienten und die öffentliche Gesundheit sowie zur Modernisierung der Sektoren für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika beitragen.

Die neuen EU-Verordnungen für In-vitro-Diagnostika und Medizinprodukte

Seit dem 25.05.2017 werden In-vitro-Diagnostika durch die Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) (In Vitro Diagnostic Regulation) (4) und Medizinprodukte durch die Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) (Medical Device Regulation) (5) separat reguliert.

Nach einer fünfjährigen Übergangszeit vom 25.05.2017 bis zum 26.05.2022 sind die Hersteller nun verpflichtet, sich an die neuen Vorschriften für In-vitro-Diagnostika zu halten. Die Einhaltung der Vorschriften in der MDR-Verordnung für Medizinprodukte war bereits am 26.05.2021 verpflichtend geworden.

Die Europäische Kommission führt auf ihrer FAQ-Seite über die schrittweise Einführung der neuen Verordnung über In-vitro-Diagnostika folgende Verbesserungen durch die neuen EU-Verordnungen auf (6):

  • klar geregelte Pflichten für Hersteller, Importeure und Händler
  • neues IVDs-Klassifizierungssystem mit vier Risikoklassen
  • verschärfte Kontrollen für IVDs mit hohem Risiko durch ein neues Überwachungstool sowie Einbindung eines EU-Expertenpools
  • strengere Auflagen für Konformitätsbewertungsstellen (Bestellung und Überwachung)
  • mehr Transparenz durch eine auch öffentlich zugängliche EU-Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED)
  • Vergabe einzigartiger Produktkennungen (Unique Device Identifier, UDI), um einzelne Produkte rückverfolgen zu können
  • strengere Vorschriften für klinische Studien und Leistungsbewertungen (EU-weit regulierte Verfahren)
  • intensivierte Herstellerüberwachung nach Produktvermarktung
  • Optimierung der Maßnahmenkoordination zwischen EU-Staaten (z. B. für eine bessere Marktkontrolle)
  • Einführung spezieller Vorschriften für sogenannte „hausinterne Produkte“ (Produkte, die in einer Gesundheitseinrichtung hergestellt und verwendet werden)

Mit der neuen Verordnung für In-vitro-Diagnostika gehen zusätzliche Anforderungen für Hersteller, Importeure und Händler einher. Dies betrifft sowohl neue als auch bereits auf den Markt gebrachte In-vitro-Diagnostika. Letztere müssen nun nachträglich den Zulassungsverfahren unterzogen werden.

Insgesamt hat sich durch die neue EU-Verordnung die Menge der IVDs, die ein Zulassungsverfahren bei einer unabhängigen Konformitätsbewertungsstelle benötigen, von 8% auf etwa 80% gesteigert. Wie genau die Zulassung neuer und bestehender In-vitro-Diagnostika erfolgt, hängt vom jeweiligen Produkt ab (6).

Der Zulassungsprozess von IVDs auf Basis der Risikoklassen A bis D

Die Zweckbestimmung eines Produktes ist Basis für die weitere Klassifizierung eines Produktes und muss durch den Hersteller vor Antragsstellung erfolgen. Hier wird festgelegt, ob das Produkt ein IVD ist und den Einschlusskriterien der IVDR entspricht. Ausgenommen sind laut Artikel 1 der Verordnung (EU) 2017/746 folgende Produkte (7):

  • Produkte für den allgemeinen Laborbedarf oder bestimmte Forschungszwecke
  • zur invasiven Probennahme bestimmte Produkte
  • Probeentnahmeprodukte, die direkt am menschlichen Körper angewendet werden
  • Materialien, die für externe Qualitätsbewertung verwendet werden
  • international zertifizierte Referenzmaterialien

Erfüllt das Produkt alle Anforderungen, wird es den Klassifizierungsregeln des IVDR (Anhang VIII) unterworfen.

Die IVD-Verordnung sieht für die Zulassung der In-vitro-Diagnostika eine Einordnung in vier Bewertungsklassen vor. Je nach Zweck des IVDs und nach insgesamt 7 Klassifizierungsregeln (siehe Anhang VIII der der Verordnung (EU) 2017/746) wird es eine der vier Klassen (A bis D) zugeteilt (8). Diese Klassifizierung erfolgt durch den Hersteller, etwaige Unstimmigkeiten werden behördlich geklärt.

Sollten seitens des Herstellers mehrere Zweckbestimmungen vorliegen, so wird das IVD der höchsten Bewertungsklasse zugeteilt (9). Dadurch ist sichergestellt, dass ein Produkt bei der Zulassung auf die größten Risiken überprüft wird, was die Sicherheit für Patienten und die öffentliche Gesundheit steigert.

Folgende Tabelle zeigt die vier Bewertungsklassen für In-vitro-Diagnostika auf einen Blick (10):

Risiko-/ BewertungsklasseRisikoeinschätzungBeispiele für Produkte bzw. Proben
AFür Patienten gering, für die öffentliche Gesundheit geringProdukte für den allgemeinen Laborbedarf, Pufferlösungen, Nährmedien, Färbelösungen, Waschlösungen, Instrumente, Probenbehältnisse
BFür Patienten mittel und/oder für die öffentliche Gesundheit geringSelbsttests auf Schwangerschaft, Fruchtbarkeit oder Cholesterin, Urintests zum Nachweis von Glukose, Erythrozyten, Leukozyten und Bakterien, Default-Klasse
CFür Patienten hoch und/oder für die öffentliche Gesundheit mittelÜbertragbare Erreger, Krebsmarker, therapiebegleitende Diagnostika, Gentests, Pränatal-Tests, Klinische Chemie, Tests, die das Patientenmanagement wesentlich beeinflussen, Selbsttests (Ausnahmen siehe Klasse B)
DFür Patienten hoch, für die öffentliche Gesundheit hochÜbertragbare Erreger im Blut, HIV, Hepatitis B, Hepatitis C, Blutgruppenbestimmung ABO, Rhesus-, Kell-, Kidd- und Duffy-System

Je nach Bewertungsklasse, der ein In-vitro-Diagnostikum zugeordnet wird, unterscheidet sich das Konformitätsbewertungsverfahren. Bei den meisten IVDs ist das Verfahren nur unter der Beteiligung der Benannten Stellen gestattet, während bei IVDs der Klasse A, die keine sterilen Produkte sind, die Hersteller das Produkt selbst mit einer CE-Kennzeichnung versehen und auf den Markt bringen dürfen (2):

„Wurde im Rahmen des anzuwendenden Konformitätsbewertungsverfahrens nachgewiesen, dass die geltenden Anforderungen erfüllt sind, erstellen die Hersteller von Produkten, bei denen es sich nicht um Produkte für Leistungsstudien handelt, eine EU-Konformitätserklärung gemäß Artikel 17 und versehen die Produkte mit der CE-Konformitätskennzeichnung gemäß Artikel 18.“ (VERORDNUNG (EU) 2017/746; Kapitel 2, Artikel 10) (11).

Die Benannten Stellen sind unabhängige Dritte, die die In-vitro-Diagnostika einem Konformitätsbewertungsverfahren unterziehen. Eine Auflistung der in Deutschland zugelassenen Benannten Stellen findet sich auf der Homepage der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) (12).

Besondere Vorschriften für hausinterne Produkte

Besondere Vorschriften gelten für sogenannte „hausinterne Produkte“. Diese sind laborentwickelte IVDs, die in einem Labor bzw. einer Gesundheitsrichtung hergestellt und ausschließlich dort verwendet werden. Da sie weder auf den Markt gebracht noch anderen juristische Personen gegeben werden, müssen hausinterne Produkte nicht mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein. (1).

Dennoch gelten auch für diese Produkte in Teilen die Anforderungen der IVD-Verordnung. Zudem müssen die Gesundheitseinrichtungen, die hausinterne Produkte herstellen und nutzen, bestimmte Voraussetzungen erfüllen; unter anderem wird von den Einrichtungen eine Begründung verlangt, wieso sie nicht auf ein auf dem Markt erhältliches IVD zurückgreifen.

Informationen zu veränderten Übergangsfristen

Da sich mit der neuen IVD-Verordnung auch die Vorschriften, die die Benannten Stellen erfüllen müssen, verschärft haben, sind die Benannten Stellen teilweise nicht mehr imstande, die neuen gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Folglich erhalten sie keine Akkreditierung als Benannte Stelle und es entsteht ein Mangel an Benannten Stellen.

Als Reaktion auf dieses Problem hat die EU in Artikel 110 der IVD-Verordnung folgende Übergangsfristen festgelegt, im Rahmen derer Produkte einem Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen werden müssen (13):

  • sterile Klasse-A-Produkte sowie Klasse-B-Produkte bis 26. Mai 2027
  • Klasse-C-Produkte bis 26. Mai 2026
  • Klasse-D-Produkte bis 26. Mai 2025

Die verlängerten Fristen betreffen IVDs, auf die folgende zwei Voraussetzungen zutreffen:

  1. Das IVD muss eine Bescheinigung gemäß der zuvor gültigen Richtlinie 98/79/EG besitzen (14). Diese Bescheinigung darf nicht nach dem 26. Mai 2022 ausgestellt worden sein.
  2. Es darf sich um kein Klasse A-Produkt ohne Steril-Kennzeichnung handeln.

Weitere Maßnahmen, um die Probleme durch den Mangel an Benannten Stellen zu lösen, sind in Diskussion.

FAQ

Sind In-vitro-Diagnostika Medizinprodukte?

Ja, In-vitro-Diagnostika sind Medizinprodukte. Sie grenzen sich von anderen Medizinprodukten (z. B. Implantate, Herzschrittmacher, Sehhilfen, Röntgengeräte) durch ihre spezielle In-vitro-Anwendung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben ab.

Was heißt „for in vitro diagnostic use only“?

„For in vitro diagnostic use only“ bedeutet, dass das jeweilige Produkt ausschließlich für In-vitro-Diagnosen genutzt werden darf. Dies sind Diagnosen, die auf Basis von Untersuchungen außerhalb des menschlichen Körpers gemacht werden.

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